Im Vorfeld des zweiten Jahrestages von Amed Ahmads Tod wurde eine Spendenkampagne für die Gestaltung des Grabsteins gestartet. Es braucht Orte des würdevollen Gedenkens an Amed, ein Ort an dem die Angehörigen und Freund*innen trauern und Kraft schöpfen können. Der Friedhof ist so ein Ort, auch wenn es noch viel mehr dieser Orte geben müsste.






Redebeitrag vom 13.10.2021
Liebe Fadile Süleyman Ahmad, lieber Malek Zaher Ahmad –
Liebe Geschwister von Amed, die ihr heute hier sein könnt –
Wir grüßen auch die Geschwister von Amed, die heute nicht gemeinsam mit uns gedenken können, weil sie nicht nach Deutschland einreisen dürfen –
Wir begrüßen euch alle ganz herzlich.
Liebe Filiz, lieber Gökhan – wir freuen uns sehr, dass ihr heute auch in Bonn sein könnt, ihr habt Amed als euren Freund in Geldern kennen gelernt.
Liebe solidarische Menschen und Initiativen hier auf dem Münsterplatz.
Es ist für die Familie und für die Freund:innen von Amed ein wichtiges Signal, dass ihr alle heute hier zusammen gekommen seid, um an Amed zu gedenken, an ihn zu erinnern, zu trauern und Anteil zu nehmen.
Wir gedenken heute auch allen anderen Menschen, die von rassistischer, patriarchaler und antisemitischer Gewalt betroffen sind, und deren Leben viel zu früh gewaltsam beendet wurde. Und wir stehen hier auch für die Menschen, die weiterhin unterdrückt, ausgebeutet und ausgegrenzt werden und die sich ihres Lebens und das ihrer Kinder nicht sicher sein können. Wir stehen hier für diejenigen, die sich noch nicht trauen oder noch nicht die Worte dafür gefunden haben, um über das zu sprechen, was ihnen und ihren Angehörigen wiederfahren ist.
Eure Solidarität zeigt, dass die Familie und die Freund:innen nicht alleine für Gerechtigkeit und Aufklärung kämpfen müssen.
Von Kleve, Hanau bis Dessau – Gemeinsam gedenken, solidarisch kämpfen.
Wir wollen unsere Kämpfe gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Chauvinismus und Klassismus, gegen das Patriarchat, gegen jeden Antisemitismus und gegen jede Unterdrückung und Ausbeutung miteinander verbunden sehen. Weil wir es satt haben. Weil wir kein freies Leben führen können, solange auch nur ein einzelner Mensch sich seines Lebens nicht sicher sein kann.
Und Amed Ahmad wollte frei sein. Heute gedenken wir seinem viel zu kurzem Leben.
Amed ging als junger Kurde in Syrien auf die Straße, um gegen die Tyrannei von Assad zu demonstrieren. Amed hat für ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit eingestanden. Er hat drei Jahre lang die Folter im syrischen Knast sowie die Flucht nach Deutschland überlebt. Er fand Freunde und hatte Zukunftspläne. Amed wurde dann im Sommer 2018 unschuldig in Geldern inhaftiert und verstarb vor zwei Jahren an den Folgen eines bislang ungeklärten Zellenbrandes in der JVA Kleve. —–
Vor genau zwei Jahren wurde Amed in Bonn beerdigt. Heute Mittag wurde in familiärer Runde ein neuer Grabstein für Amed eingeweiht, der in würdevoller Form an ihn erinnert – wo man ihm gedenken kann.
——-
Warum musste Amed sterben? Die ungeklärten Fragen und die Widersprüche werden immer mehr! Von Anfang an haben die Freund:innen von Amed den Rassismus der Polizei in Geldern thematisiert. Ameds Vater hat bereits auf der Beerdigung gefragt, wer die Mörder seines Sohnes seien. Die Ermittlungen der letzten zwei Jahre haben die anfänglichen Zweifel nur noch verstärkt.
Amed wurde 26 Jahre alt.
An Amed wollen wir heute gedenken. Wir klagen aber auch an!
Wir klagen das deutsche und auch das euopäische Asylsystem an, dass Amed systematisch entmenschlicht hat.
Wir klagen diejenigen an, denen Ameds unverschuldete Inhaftierung offenbar vollkommen egal war. Diejenigen, die ihn mit seinem Widerspruch, dass er nicht der Gesuchte sei, nicht ernst genommen haben, die seine fälschliche Inhaftierung wissentlich in Kauf genommen haben – oder sogar verursacht und vertuscht haben.
Wir klagen diejenigen an, die Ameds Tod hätten verhindern können und die sich aus der Verantwortung herausreden, da sie ja nur „Dienstanweisungen“ befolgt hätten.
Wir klagen diejenigen an, die Amed selbst nach seinem Tod verleumdet haben.
Und wir klagen diejenigen an, die allumfassende Aufklärung versprochen haben, aber ihr Wort nicht gehalten haben und von Anfang an nicht halten wollten.
Wir klagen ein System der Entmenschlichung und der Abwehr von Verantwortung an, wir klagen diese gesellschaftlichen Verhältnisse an, die so einen Tod möglich machen und bei einem Großteil der Menschen nur Gleichgültigkeit erzeugt.
Weil wir alldem nicht mehr tatenlos zusehen werden, fordern wir:
– eine lückenlose Aufklärung und Gerechtigkeit für Amed und für alle anderen Opfer rassistischer, patriarchaler und antisemitischer Gewalt
– dazu gehört für uns eine grundlegende Anerkennung der Mechanismen von institutionellem Rassismus der Polizei und Justizbehörden aber auch dem Rassismus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft
– Wir fordern mit Nachdruck, dass die erlebten Erfahrungen der Betroffenen, das erlebte Leid und der Verlust von einem geliebten Menschen endlich ernst genommen wird
– Aus unseren Erfahrungen muss daraus die Forderung nach strukturellen Veränderungen der polizeilichen Behörden und Konsequenzen für alle Verantwortlichen folgen
– Auch deshalb fordern wir öffentliche Orte des Gedenkens und des Erinnerns. Denn die Menschen, die hier getötet wurden, waren ein Teil dieser Gesellschaft der Vielen.
– Und auch deshalb fordern wir, dass die Perspektiven, die Erfahrungen und die Stimmen derjenigen, die zu lange nicht angehört wurde, endlich sichtbar werden, endlich angehört werden.
– Und all diese Menschen, die anklagen, die angeklagt haben, sie sind keine Opfer –
Sie erkämpfen sich hier und jetzt ihr Recht darauf gesehen und angehört zu werden – ihr Recht darauf, als Menschen gesehen und anerkannt zu werden – und sie erkämpfen sich auch ihr Recht darauf, innehalten zu wollen und Gedenken zu können.
Auch deshalb wollen wir immer wieder zusammen kommen, uns austauschen und gegenseitig stärken. Wir wollen unsere Forderungen nach grundlegenden Veränderungen immer wieder gemeinsam auf die Straße tragen! Wir wollen, dass die vielfältigen Stimmen derjenigen, die schon zu lange nicht ernst genommen und überhört wurden, gemeinsam laut werden und endlich angehört werden. Und wir werden niemanden bei diesem Kampf alleine lassen!
Wir wollen gemeinsam die Stimmen für diejenigen erheben, die nicht mehr für sich selbst sprechen können, weil ihnen diese rassistischen, patriarchalen und antisemitischen Strukturen bereits ihr Leben genommen haben. Wir wollen uns wieder unseren eigenen Erinnerungen bemächtigen und zugleich die Vielfalt der Erfahrungen nicht ignorieren.
Dass wir uns solidarisch aufeinander beziehen und füreinander Verbündete sind. Dass wir uns hochhelfen, wenn wir am Boden sind. Weil wir Menschen sind – von Kleve, Hanau bis Dessau – überall.
Für eine solidarische Gesellschaft der Vielen! Niemand ist vergessen!
Im Namen von Amed Ahmad und seinen Angehörigen bitte ich euch hiermit um eine Schweigeminute im Gedenken an Amed. Wir beklagen alle Opfer rechter, rassistischer, patriarchaler und antisemitischer Gewalt. In Gedenken an alle Menschen, die Schutz vor Krieg und Gewalt gesucht haben und Opfer von Rassismus und staatlicher Gewalt geworden sind.
Wir haben heute die Gelegenheit des Zusammenkommens genutzt, haben an Amed Ahmad gedacht, die eindringlichen Worte von Ameds Eltern, Ameds Freund:innen und unseren Verbündeten gehört. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Worte nicht in Vergessenheit geraten, dass sie uns auch in Zukunft Kraft geben. Dass niemand der Getöteten in Vergessenheit gerät.
Lasst uns alle, auch in Zukunft weiter für Gerechtigkeit und Aufklärung eintreten – für Amed und für alle Anderen. Denn diese tödliche Normalität muss endlich ein Ende haben.
Niemand ist vergessen!
Schreibe einen Kommentar